Welche Gemeinden haben vor der Kreisreform 1973 noch nicht zum Landkreis Rottweil gehört, welche musste der Altkreis Rottweil abgeben? Die Antwort finden Sie im nachfolgenden lesenswerten Text, launig geschrieben von Johannes Waldschütz, dem Leiter unserer Stabsstelle Archiv, Kultur, Tourismus, oder in der unten eingebundenen Karte.
Heute gehören 21 Städte und Gemeinden zum Landkreis Rottweil. Dass die eigene Gemeinde dazugehört, wissen alle, die schon mal ein Auto in Rottweil zugelassen haben. Doch welche anderen Orte sind Teil dieses Landkreises? Von Wellendingen und Deißlingen sind Dornhan und Schiltach weit weg. Weiß ein Lauterbacher, dass Vöhringen Teil des Landkreises Rottweil ist?
Wie der heutige Landkreis Rottweil entstand, führt dieser Artikel aus. Das klingt nach trockener Verwaltungsgeschichte, doch hinter den Kulissen wurden politische Muskeln gespielt, emotional argumentiert und um Gemeinden geschachert.
Landkreise sind vor allem Verwaltungseinheiten. Menschen identifizieren sich selten mit ihnen. Unterste Identifikationsebene ist oft die Gemeinde, häufig sogar das eigene Dorf. Man ist auch heute noch zuvorderst Fluorner oder Winzelnerin. Zugleich kann man etwa als Tennenbronnerin lauthals das Badnerlied mitsingen, sich in Sulz als Württemberger fühlen oder in Glatt und Wilflingen die preußisch-hohenzollerische Vergangenheit hochhalten. Daneben ist man im Schwarzwald zuhause, jubelt oder trauert mit deutschen Nationalmannschaften und sieht sich vielleicht sogar als Europäerin. Identitäten sind vielfältig. Für manche bedeutet Herkunft auch Heimat. Andere halten es wie der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann, der mal sagte: „Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau.“
Tatsächlich zeigt die Vergangenheit, dass sich die Zuordnung einzelner Orte zu Staaten und Verwaltungseinheiten immer wieder geändert hat. So gehörte Schiltach seit dem Spätmittelalter zu Württemberg und wurde erst im Zuge der Neuordnung Europas durch Napoleon 1810 Teil des Großherzogtums Baden. Zur gleichen Zeit endete in Rottweil die reichsstädtische Selbstverwaltung. Bisher vorderösterreichische Orte wie Schramberg und Oberndorf wurden württembergisch und auch kleine Kloster- und Adelsherrschaften hörten auf zu existieren. Die neuen Territorialherren gliederten ihre Besitzungen in Verwaltungsbezirke. So entstanden in Württemberg die Oberämter Sulz, Oberndorf und Rottweil. Auch in Baden und Hohenzollern gab es ähnliche Strukturen.
Immer wieder kam es kam es fortan zu territorialen Neuordnungen und Korrekturen: So wurde das hohenzollerische Oberamt Glatt im 19. Jahrhundert ebenso aufgelöst wie das badische Amt Hornberg. Das württembergische Oberamt Sulz war dagegen 1807/1808 um Gebiete der Oberämter Dornhan und Rosenfeld erweitert worden und 1842 erhielt das Oberamt Rottweil Zuwachs aus den Oberämtern Spaichingen, Sulz und Tuttlingen. Eine erste große Kreisreform erfolgte in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Kreis Sulz (ehemals Oberamt) wurde aufgelöst und größtenteils dem Kreis Horb zugeschlagen. Der Kreis Rottweil wurde um den aufgelösten Kreis Oberndorf sowie einige Gemeinden aus den Kreisen Sulz, Spaichingen und Tuttlingen vergrößert. Im Gegenzug musste dieser den Raum um Schömberg an den Kreis Balingen abgeben.
Rund 30 Jahre später gab es neue Überlegungen um eine Verwaltungsreform. Bereits in den 1950er-Jahren waren nach einer umstrittenen Volksabstimmung die bisherigen Länder zu Baden-Württemberg zusammengeschlossen worden. Die Kreise orientierten sich jedoch noch immer an diesen ehemaligen Territorien und waren zudem von höchst unterschiedlicher Größe. Im Dezember 1969 veröffentlichte deshalb die von einer großen Koalition getragene Landesregierung ein Denkmodell, dass die Reduzierung der Zahl der Landkreise von 63 auf 25 und der Stadtkreise von neun auf vier vorsah. Nach diesem Modell wäre der bisherige Landkreis Rottweil Teil eines Großkreises Villingen geworden, der Sulzer Raum wäre mit dem Altkreis Horb zu einem Großkreis Freudenstadt gekommen.
Fast überall im Land erhob sich Protest gegen die geplante Neuordnung. Den bisher kaum identitätsstiftenden Kreisen wurde auf einmal ein Kreisbewusstsein zugeschrieben. Die Gründe für den Protest waren jedoch vielfältig: Dutzende Kreisstädte würden ihre Kreisverwaltung und Zentralitätsfunktion verlieren. Bisher badische und hohenzollerische Gemeinden sollten württembergischen Kreisen zugeordnet werden und natürlich auch anders rum. Vor allem aber wären die neuen Kreise sehr groß gewesen. Der Großkreis Villingen hätte aus 200 Gemeinden der bisherigen Kreisen Villingen, Donaueschingen, Tuttlingen und Rottweil bestanden und von Oberndorf bis zur Schweizer Grenze, von Furtwangen bis Beuron gereicht.
Im Februar 1970 legte die CDU als größte Regierungspartei ein Alternativmodel vor. Dieses sah das Weiterbestehen des Landkreises Rottweil vor, dem auf maßgebliches Bestreben des aus Oberndorf stammenden Finanzministers Robert Gleichauf der Raum Sulz-Dornhan aus dem Altkreis Horb zugeordnet wurde. Im alten Landkreis Rottweil hatte sich zudem eine „Aktionsgemeinschaft Rottweil“ gebildet, die für das Fortbestehen des Kreises kämpfte. Andere Kräfte dagegen sahen im Kreis Rottweil keine Zukunft: Die Industriestadt Schwenningen sollte aus dem Kreis ausscheiden und mit Villingen vereinigt werden. Dadurch sah sich das ebenfalls industriell geprägte Schramberg in eine Randlage gedrängt und alter Verbindungen mit Schwenningen beschnitten. Der Schramberger CDU-Bürgermeister Konstantin Hank setzte sich wie die regionalen Gliederungen von SPD und FDP im Kreis Rottweil für den Großkreis Villingen ein. Zum Showdown kam es in einer Sitzung des Rottweiler Kreistags in Dunningen am 7. Dezember 1970. Am Ende einer ausufernden Diskussion stimmten 24 Mitglieder gegen die Neubildung des Landkreises Rottweil und nur 21 dafür. Anschließend votierte eine knappe Mehrheit von 23 zu 22 für die Bildung des Großkreises Villingen.
Auch im Raum Sulz-Dornhan war man vom neuen Landkreis wenig begeistert. Die Stadt Sulz am Neckar strebte eine Angliederung an den Landkreis Tübingen an, Dornhan wollte zu Freudenstadt und auch die übrigen Bürgermeister lehnten eine Eingliederung in den Landkreis Rottweil ab. Einer drohte sogar mit aufgebrachten Dorfbewohnern nach Stuttgart zu fahren, um dort der Landesregierung mit „Sicheln, Sensen und Dreschflegeln … die Meinung zu sagen.“ Doch die Lobbyarbeit, nicht zuletzt durch den unermüdlichen Robert Gleichauf trug langsam Früchte. Im August 1970 befürworteten bereits drei Gemeinden einen Anschluss an Rottweil. Im November 1970 stimmte der Gemeinderat von Sulz denkbar knapp mit sieben zu fünf für die Zuordnung zum Landkreis Rottweil. Weitere Gemeinden aus dem Sulzer Umland folgten. Dornhan und die umliegenden Gemeinden strebten allerdings weiter eine Angliederung an den Landkreis Freudenstadt an. In Busenweiler warb man sogar mit dem Slogan „Busen gehört zu Freuden“ für die Option Freudenstadt.
Dagegen wollten andere Gemeinden beim Landkreis Rottweil bleiben: In Peterzell stimmten 60 % der Bürger gegen die geplante Eingliederung der Gemeinde in den Landkreis Freudenstadt und in Römlinsdorf forderte der Gemeinderat einstimmig den Verbleib beim Landkreis Rottweil. Doch diese Stimmen wurden von der Stuttgarter Politik ebenso wenig erhört wie die „Selbstaufgabe“ des Rottweiler Kreistags in Dunningen und der kreative Protest im Raum Sulz-Dornhan. Heiß diskutiert wurde im Landtag vor allem die Zugehörigkeit Tennenbronns, das nach mehreren Kampfabstimmungen vom Landkreis Villingen zum Landkreis Rottweil umgeordnet wurde. Schließlich verabschiedete der Landtag am 26. Juli 1971 das Kreisreformgesetz.
Zum 1. Januar 1973 wurde der neue Landkreis Rottweil gegründet. Er erhielt die heutigen Gemeinden Schiltach und Schenkenzell aus dem aufgelösten Landkreis Wolfach, Tennenbronn vom Altkreis Villingen, vom Landkreis Horb den Raum Sulz-Dornhan sowie vom Landkreis Hechingen die Gemeinde Glatt, das 1969 mit Wellendingen vereinigte Wilflingen und das bereits 1972 nach Sulz eingemeindete Fischingen. Dagegen mussten Peterzell und Römlinsdorf an den Landkreis Freudenstadt abgegeben werden, zu dem Reutin schon seit der Eingemeindung nach Alpirsbach im Dezember 1971 gehörte. Außerdem war die Stadt Schwenningen (mit Mühlhausen) bereits zum 1. Januar aus dem Kreis Rottweil ausgeschieden. Zum 1. Januar 1973 wechselten zudem Weigheim und Deißlingen zum neu geschaffenen Schwarzwald-Baar-Kreis. Aber auch nach der eigentlichen Kreisreform gab es noch kleinere Änderungen: Schörzingen schloss sich am 1. Februar 1973 der Stadt Schömberg an und wechselte in den Zollernalbkreis. Ein Jahr nachdem Deißlingen den Kreis verlassen hatte, kam es nach der Vereinigung mit Lauffen ob Rottweil am 1. Januar 1974 wieder zum Kreis Rottweil zurück. Am 1. April des gleichen Jahres wurde Busenweiler nach einer gemeindeinternen Abstimmung nach Dornhan eingemeindet und trat so doch noch dem Landkreis Rottweil bei.
Nach mehr als fünfjähriger, teilweise erbittert geführter Diskussion hatte der Landkreis Rottweil seine heutige Form gefunden. Von 1973 bis 2002 stand diesem über fast 30 Jahre hinweg Manfred Autenrieth als Landrat vor. Seitdem ist Dr. Wolf-Rüdiger Michel Landrat. Während dieser langjährigen Amtszeiten erhielt der Landkreis Rottweil durch die Verwaltungsreformen von 1995 und 2005 weitere, ehemals staatliche Aufgaben, etwa Straßenbau, Forstwirtschaft und Gewerbeaufsicht. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten gelegentlich Diskussionen um den Zuschnitt des Landkreises aufbrannten, haben sich die Grenzen des Landkreises bewährt. Der Landkreis Rottweil steht als Dreiländerlandkreis mit seiner vielfältigen Landschaft zwischen Schwarzwald, Neckar und Alb geradezu sinnbildlich für unser Bundesland und ist durch eine starke und vielfältige Wirtschaft geprägt. Eine Kreisidentität besteht dagegen eher nicht. Der Landkreis Rottweil wird wie die meisten Landkreise geschätzt aber nicht geliebt. Vielmehr herrscht – das hat die gleichnamige Ausstellung in Schloss Glatt verdeutlicht – ein Mosaik der Identitäten vor. Vielleicht würde sich das ändern, wenn der Landkreis erneut von der Auflösung bedroht wäre. Doch dazu dürfte es vorerst kaum kommen: Wissenschaftliche Studien bezweifeln die finanzielle und organisatorische Wirkung von Gebietsreformen und die Landespolitik scheut neuerliche politische Auseinandersetzungen.
Mehr über die Kreisreform verrät der Band 50 Jahre „Kreisreform. Identität – Funktion – Innovation“. Darin lassen Altkreisarchivar Bernhard Rüth sowie die Archivmitarbeiter Armin Braun, Steffen Lippitz und Armin Riazi ebenso fakten- wie anekdotenreich die Zeit der Kreisreform Revue passieren.
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Am 12. Dezember 2023 erscheint die „Denkmaltopographie Landkreis Rottweil“. In zwei Bänden mit mehr als 1000 Seiten und 2318 Bildern werden die Bau- und Kulturdenkmale des Landkreises Rottweil ausführlich vorgestellt.