Der Tuberkulose auf der Spur

Am 24. März ist Welttuberkulosetag / Detektivarbeit für das Gesundheitsamt Rottweil

Weltweit ist jeder vierte Mensch mit Tuberkulose infiziert, jeder zehnte erkrankt daran. Allein in 2021 gab es 10,6 Millionen Tuberkuloseerkrankte, von ihnen sind 1,6 Millionen verstorben. Zwar gilt Deutschland als Niedriginzidenzland, doch in einer immer vernetzteren, globalisierten Welt steigt auch bei uns die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen wieder: Im vergangenen Jahr wurden 4.076 neue Tuberkulosen diagnostiziert.

Damit kommen in Deutschland 4,9 Fälle auf 100.000 Einwohner. Die Europäische Region und Weltgesundheitsorganisation (WHO) verfolgen das Ziel, bis 2050 weltweit weniger als 1 Fall pro 100.000 Einwohner zu erreichen. Der Landkreis Rottweil zählte 2022 neun Tb-Neuerkrankungen.

Zurück zu Dirk Netzel. Der behandelnde Arzt, der erst kürzlich einen Fachartikel über die leicht zu übersehende Erkrankung gelesen hatte, leitet eine entsprechende Diagnostik ein. Er fordert eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs an, einen sogenannten Röntgenthorax, die tatsächlich Auffälligkeiten hinsichtlich Tuberkulose zeigt. Eine Bronchoskopie, also eine Untersuchung der Lunge mit einem Endoskop, bestätigt den Röntgenbefund; das entnommene Sekret der Lunge zeigt ein positives Ergebnis. Damit ist klar: Dirk Netzel hat eine mikroskopisch nachweisbare, offene Tuberkulose.
Tuberkulose ist meldepflichtig – durch die gesetzlich vorgeschriebene Arztmeldung erfährt das Gesundheitsamt von dem Fall.

Die Mitarbeiter nehmen Kontakt zur Klinik auf, erheben die Daten des Patienten und des Erkrankungsverlaufs. Dirk Netzel liegt auf der Isolierstation, die Therapie mit vier verschiedenen Antibiotika ist inzwischen gestartet. In wenigen Wochen wird bei Dirk Netzel keine Ansteckungsgefahr mehr bestehen. Je nach Größe des Befundes kann dies auch mehrere Monate dauern. Dann kann Netzel entlassen werden, muss jedoch weiterhin für etwa ein halbes Jahr die Antibiotika einnehmen. In dieser Zeit wird er durch seinen Hausarzt betreut, zusätzlich muss das Gesundheitsamt laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Therapie überwachen und wird mindestens über die nächsten zwei Jahre entsprechende Kontrolluntersuchungen durchführen lassen.

Die Meldepflicht für Tuberkulose endet übrigens nicht beim Gesundheitsamt: Von hier aus muss jeder Tb-Fall an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelt werden, sobald der Verdacht gesichert ist – Dirk Netzel fließt in die Fallzahlen als erkrankte Person ein.

Parallel zur Therapie von Dirk Netzel beginnt beim Gesundheitsamt die Detektivarbeit. Wo könnte sich Netzel infiziert haben? Hat er andere angesteckt? Bei einer mikroskopisch nachweisbaren, offenen Lungentuberkulose ist eine Weitergabe der Bakterien schnell und leicht möglich. Haushaltsangehörige, Familie, Freunde, Arbeitskollegen und weitere enge Kontakte werden vom Gesundheitsamt ermittelt und kontaktiert. Da Tuberkulose eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt, sind die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes verpflichtet, den Kontaktpersonen nachzugehen. Diese Vorgehensweise nennt sich „Umgebungsuntersuchung“, ist in § 25 des IfSG geregelt und gibt dem Gesundheitsamt weitreichende Befugnisse. Oft kommt es hierbei zu einer landkreisübergreifenden Zusammenarbeit der Ämter – wie im Fall von Dirk Netzel, denn er arbeitet im Nachbarlandkreis.

Im Gespräch mit seinem Arbeitgeber wird schnell klar, dass der Erkrankte während der letzten sechs Monate Kontakt zu fast allen Beschäftigten hatte. Bei einer Vorortbegehung entscheiden die beiden Ämter alle Kontaktpersonen zu beraten und sie auf eine mögliche Tuberkulose-Infektion zu testen. Die Auswertung der Blutproben erfolgt in einem speziellen Tuberkulose-Labor in Stuttgart.

Die Laborergebnisse bestätigen das hohe Ansteckungsrisiko: Mehrere Haushaltsmitglieder und Kollegen von Dirk Netzel sind Tb-positiv, müssen nun ebenfalls Röntgenthorax-Untersuchungen durchlaufen. Nur ein Haushaltsmitglied hat ein auffälliges Röntgenbild und wird in eine Spezialklinik eingewiesen. Hier kann durch weitere Untersuchungen eine aktive Lungentuberkulose ausgeschlossen werden. Dies bedeutet: Die Person hat sich zwar mit Tuberkulosebakterien infiziert, ist jedoch (noch) nicht an Tuberkulose erkrankt.

Die negativ getesteten Kontaktpersonen werden acht Wochen nach dem letzten Kontakt zu Dirk Netzel erneut getestet. Alle Kontaktpersonen, deren Bluttest nun positiv ist, durchlaufen ebenfalls die Röntgendiagnostik – es ergeben sich keine weiteren Auffälligkeiten.
Alle, die sich mit dem Erreger infiziert haben, erhalten vom Gesundheitsamt eine Empfehlung zur sogenannten Chemoprävention, sollten also vorbeugend ein Antibiotikum einnehmen, um zu verhindern, dass das eingenistete Bakterium ausbricht und den Organismus angreift. Das Risiko für einen Ausbruch der Krankheit ist in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Infektion am höchsten, die übliche Chemoprävention mit dem Standard-Medikament dauert drei bis vier Monate. Der Standard genügt in diesem Fall nicht, da die Tuberkulose von Dirk Netzel bereits gegen einen darin enthaltenen Wirkstoff resistent ist. Es wird ein Langzeitpräparat verschrieben, das neun Monate lang eingenommen werden muss.

Nach diesen neun Monaten und gegebenenfalls erneut nach zwei Jahren wird eine nochmalige Röntgenthorax-Kontrolluntersuchung durchgeführt, um eine aktive Lungentuberkulose weiterhin auszuschließen.
Am Ende der zahlreichen und sehr aufwendigen Umgebungsuntersuchungen, die sich über Monate hinzogen, ist bis dato bei keiner weiteren Kontaktperson die Tuberkulose ausgebrochen. Bei Dirk Netzel kann zwischenzeitlich die Therapie von vier auf zwei Medikamente reduziert werden; nach sechs Monaten und einer Abschlussuntersuchung durch das Gesundheitsamt ist seine Therapie abgeschlossen. Es folgen weitere Kontrolluntersuchungen im Verlauf.


INFORMATIONEN ZUR TB
Tuberkulose (Tb) ist eine Infektionskrankheit, die durch Aerosole von Mensch zu Mensch übertragen wird. Bei einer Ansteckung setzt sich das Tuberkulosebakterium meist in der Lunge fest, kann jedoch auch Organe außerhalb der Lunge betreffen. Ungefähr fünf bis zehn Prozent solcher Ansteckungen zeigen innerhalb von Monaten bis Jahren Symptome, die die Krankheit erkennbar machen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei ein geschwächtes Immunsystem, beispielsweise durch eine andere Erkrankung, durch Stress oder gesundheitsschädliche Lebensumstände.

Verlauf der Erkrankung
Die Betroffenen haben lange nur wenige Beschwerden und können sich erst nach mehreren Monaten wirklich krank fühlen. Typische Symptome einer Lungentuberkulose sind langanhaltender Husten, Nachtschweiß und deutlicher, ungewollter Gewichtsverlust in kürzester Zeit. Auch Fieber und Abgeschlagenheit können auftreten. Da die Symptome relativ unspezifisch sind – ähnlich zu Erkältungs- und Tumorerkrankungen – dauert es zur Diagnosestellung oftmals Monate.

Mit einer Antibiotikatherapie ist die Tuberkulose heilbar. Unbehandelt kann sie jedoch zum Tode führen, denn die Bakterien „fressen“ mit der Zeit das betroffene Gewebe (Lunge, Lymphknoten etc.) auf. Problematisch ist der steigende Anteil an resistenten Tuberkulosen. Sie können unter anderem dadurch entstehen, dass die Therapie vorzeitig abgebrochen wird. Die nachstehende Grafik zeigt den prozentualen Anstieg resistenter Tuberkulosen in Baden-Württemberg nach Meldejahr, also die Widerstandsfähigkeit der Krankheitserreger gegen eine Antibiotikatherapie.Schaubild mit blauer und roter Verlaufskurve

Ansprechpartnerin beim Gesundheitsamt für alle Fragen rund um das Tuberkulose ist Frau Sauter, Telefonnummer 0741/244-786.